Einmal Antarktis.........

 

........... schon seit Jahren war das mein sehnlichster Reisewunsch. Dieser mystische Kontinent, eisig, unnahbar und unerbittlich. Und dennoch voller Leben. In diesem Jahr will ich es tatsächlich machen. So entsteht die Idee, Patagonien, Feuerland und die Antarktis zu besuchen. Denn wenn ich schon einmal dort unten bin, dann bietet es sich an, auch zumindest einen kleinen Teil von Südamerika zu entdecken. Mit der Planung der Reise habe ich im September 2014 begonnen. Die Passagen zur Antarktis sind recht früh ausgebucht. Ich wollte ein Schiff, das unter hundert Passagiere hat und kein typischer Kreuzfahrer ist. Bei der Reise sollte das Naturerlebnis und der "Expeditionscharakter" im Vordergrund stehen, nicht der all inclusive Schiffsaufenthalt mit Käptn's Dinner und Modenschau. Fündig wurde ich bei Antarpply Expeditions mit der "M/V Ushuaia", einem ehemaligen Forschungsschiff der amerikanischen Marine. Maximal 88 Passagiere und die Antarctic Travel Company ist sehr bemüht um Umweltschutz und engagiert  im "sanften" Tourismus. Das Schiff hat eine hohe Eisklasse, ist sehr geeignet für diese harte Region, aber auch sehr "basic".


Um den Antarktis-Trip herum musste ich alle anderen Bausteine der Reise organisieren. Da die Antarktskreise vom 11. Februar bis 22. Februar vorgesehen war, also recht spät im südamerikanischen Sommer, war es sinnvoll, alles andere vorher zu machen. Begonnen habe ich dann mit einer Rundreise durch Südpatagonien mit einem Mietwagen. Im Anschluss daran habe ich eine fünftägige Schiffspassage von Punta Arenas nach Ushuaia gebucht. Diese Schiffspassage war einerseits praktisch, da ich den Mietwagen in Punta Arenas wieder abgeben musste, aber die Antarktisreise in Ushuaia startete. Zum anderen ging die Passage um Kap Hoorn, inklusive geplanter Anlandung auf eben diesem Sehnsuchtsort aller Seefahrer. Da zwischen der Ankunft in Ushuaia und der Abreise zur Antarktis noch ein paar Tage Zeit war, wollte ich mir nochmal die wilde argentinische Seite von Feuerland anschauen. 

Somit beginnt dieser Trip mit der etwas mühsamen Anreise von München über Santiago de Chile nach Punta Arenas. Von dort per Mietwagen zu den chilenischen und argentinischen Nationalparks an der Westküste Südamerikas, weiter zur Ostküste des Kontinents und durch das chilenische Feuerland zurück wieder nach Punta Arenas. Von dort geht es weiter mit der "Via Australis" nach Ushuaia. Es folgt ein Abstecher zum argentinischen Teil Feuerlands und letztlich von Ushuaia zur Antarktis über den Südpolarkreis hinaus und wieder zurück. Dann Buenos Aires - München und schon bin ich wieder zuhause.


Donnerstag, 15. Januar 2015/11:30

 

Jacobs-reist – super klasse, erstmal den Flug verpasst. Bis Santiago de Chile habe ich es immerhin geschafft. Fotos vom Flughafen sind nicht ausgesprochen interessant, wenngleich ich gut drei Stunden hier rumsitze und mir die Zeit mit Fotografieren verkürzen könnte. Anschlussflug nach Punta Arenas verpasst. Nicht weil ich getrödelt hätte, sondern hunderte Menschen vor mir im Flugzeug, hunderte Menschen erst vor der Immigration, hunderte Menschen vor dem Zoll, hunderte Menschen vor  der Handgepäckkontrolle. Ahnungsloses bis unwissendes Bodenpersonal haben mich von Pontius zu Pilatus geschickt. Trotz meines vielleicht lückenhaften aber immerhin bemühten Spanisch. Sei’s drum, zumindest mein Koffer wird wohl schon am Zielort sein.  Jetzt stand by für den nächsten Flug. Fängt super an. Das Abenteuer fing eigentlich schon damit an, dass ich LAN gebucht und Iberia bekommen habe. Ich war aber etwas versöhnt, weil die nette Dame am Check-in nicht nur mein Übergepäck ohne zu Zicken nach Punta Arenas duchgecheckt hat, sondern mich auch süffisant lächelnd fragte – nein, nicht ob ich ein upgrade haben möchte – ob es recht sei, wenn sie mir für alle drei Flüge - München -> Madrid -> Santiago de Chile -> Punta Arenas - einen Fensterplatz gibt. Nun ja, warum nicht, obwohl das hätte mich misstrauisch werden lassen müssen. Ich weiß jetzt, dass bei der Iberia der Airbus 320 in Eco 30 Sitzreihen hat und der Airbus 340 immerhin 49 Sitzreihen. Klartext: jeweils letzte Reihe, Rückenlehne gar nicht bzw. nur eingeschränkt verstellbar und direkt vor der Bordtoilette. Das Geräusch, wenn mit Unterdruck gespült wird ist ja ein ganz faszinierendes, aber nach 180 Mal in der Nacht beginnt es zu nerven. Nun soll es zumindest mit LAN weitergehen. Sofern sie mich mitnehmen. 

Die Anden

Ein blick in den gefühlt 400 Meter langen Flieger




Donnerstag, 15. Januar 2015/13:20

 

LAN hat mir den Weiterflug bestätigt. Es geht in einer knappen Stunde nach Punta Arenas via Porto Montt, den Flughafen wollte ich mir ja immer schon einmal ansehen. LAN, die Lufthansa Südamerikas, macht schon einen Unterschied zu Iberia. Zwei Dinge habe ich gelernt: meide Iberia auf Langstrecke. Dreizehneinhalb Stunden in einem Fluggerät mit dem Standard eines Schulbusses ist für nicht mehr ganz junge Herren grenzwertig. Aber immerhin, wir sind überhaupt und das pünktlich angekommen. Und zweitens möge der geneigte Reisende bedenken, dass eine Stunde zwanzig Minuten Aufenthalt zwischen zwei Flügen in Santiago de Chile zur Hauptreisezeit verdammt kurz sein können.

Die nächsten zwei Überraschungen folgten nach der Ankunft in Punta Arenas. Nein, Koffer nicht da. Oder vielleicht nicht mehr da? Überraschung Nummer eins. Überraschung Nummer zwei: am Gepäckband warten zwei Herren und eine Dame, die aussahen, als würden sie sich um verlorengegangenes Gepäck kümmern. So war es denn auch. Und auf deren Liste war mein Gepäckstück vermerkt, mit meinem Namen, der ursprünglichen Flugnummer und dem Hinweis, dass der Koffer mit dem nächsten Flieger kommen würde. Perfekte Organisation. Der kam dann auch, zwar erst um 00:40, aber er ist da. Und mit ihm meine Zahnbürste und allem was man braucht, wenn man mehr als 36 Stunden in den gleichen Klamotten verbringt. Meine armen Sitznachbarn.

Ich verstehe auch gar nicht, wie ich auf die Idee kommen konnte, in Chile geht alles mehr oder weniger chaotisch zu. Mein erster Eindruck nach ein paar Stunden in Punta Arenas: freundliche Menschen, hilfsbereit und gut drauf.  Autofahrer bremsen für Fußgänger, alles ist sehr aufgeräumt. Die Sonne scheint, es ist herrlich windig und die Magellanstraße „duftet“ nach Salz und ganz weiter Ferne.




Freitag, 17. Januar 2015/17:30

 

Heute um halb sieben war die Nacht zu Ende, jet lag zum einen und die aufgehende Morgensonne zum anderen, für die der Fenstervorhang überhaupt kein Hindernis war. Perfekt, dass es hier früh hell und erst spät dunkel wird, so gegen zehn, elf Uhr abends. Das bedeutet, ich kann die Fahrerei ruhig angehen lassen und brauche mich nicht zu hetzen. Die Tagesetappen sind zwischen 200 und 400 km, überwiegend Schotterpisten. Und das gegebenenfalls bei Dunkelheit wäre nicht gerade mein Traum vom Autofahren.

Das Projekt heute war botas de gomma kaufen. Gummistiefel. Für die Schiffspassagen. Die Anlandungen sollen teilweise recht feucht sein. Bei dieser Gelegenheit habe ich festgestellt, dass es in Punta Arenas alles gibt, was der Mensch braucht. Bis auf Gummistiefel. Am Schluss habe ich einen Bauarbeiter gefragt, der ebensolche botas anhatte. Nicht, ob er mir sie gibt, sondern wo ich sie kaufen könnte. Damit habe ich gleichzeitig meine gute Tat für diesen Tag erledigt, denn er hat sich derart gefreut, mir zu erklären, wo ich einen entsprechenden Laden finden kann. Gut, ich habe auf dem Weg dorthin noch zwei Mal nachfragen müssen, weil die Richtung, in die er gezeigt hatte nicht mit der Lage des Ladens übereingestimmt hat. Aber am Ende gab es botas. Und fachkundige Beratung. Alles perfekt.

Am Nachmittag habe ich versucht, ein paar Fotos von der Stadt zu machen. Ist schwierig, weil immer etwas im Bild ist: rumhängende Leitungen, riesige Schilder, angeknickte Lichtmasten oder ein LKW. Ich werde gleich mal sehen, wie die Ausbeute ist.

Morgen um zehn Uhr kann ich meinen Leihwagen abholen. Dann geht es los. Patagonia Camp im Nationalpark Torres del Paine ist das Ziel.


Heute Morgen zeigte sich der Ozean ziemlich sanft. Kann sich sehr schnell ändern.

Samstag, 17. Januar 2015 - Auf  geht's, quer durch Patagonien

 

Heute war der erste Reisetag. Ich habe um um 10:00 Uhr mein Fahrzeug bei Hertz abgeholt. Ich hätte so gern einen Pick-up gehabt, da kann man so lässig den Arm aus dem Fenster lehnen. Aber es gab keinen mehr. Schade, ich liebe diese Dinger. Stattdessen gibt es einen Nissan, na ja geht auch ganz gut, ist halt nur irgendein Auto. Ein GPS gab es auch nicht. Also, der Mann von Hertz hat mir abgeraten. Kostet 10 US $ am Tag und es sei nur Chile drauf. Und das nur beding für die Gegend, in der ich mich aufhalte. Ist halt ein großes Land, Chile. Der Vorteil hier ist, es gibt nicht soviel Straßen über Land, wo man sich verfahren kann. Ich werde es dennoch schaffen, mich irgendwann zu verfahren. Aber bislang ist festzuhalten, die Ausschilderung ist sehr gut. Überhaupt ist das Fahren hier sehr entspannt. Es wird nicht gerast, man hält sich an das Tempolimit. Man kriecht geradezu an Kreuzungen heran. 

Ich bin jetzt im Nationalpark Torres del Paine im Patagonia Camp. Alles öko. Sehr eindrucksvoll, was ich bis jetzt gesehen habe. Aber jetzt ist erstmal Schluss für heute. Morgen geht es auf eine geführte Tour zu irgendwelchen grandiosen viewpoints. 

Mein größtes logistisches Problem ist im Moment, dass sich mein iPhone ohne jegliches Zutun verabschiedet hat. Bleibt einfach schwarz, ohne dass ich irgend etwas Unanständiges damit gemacht hätte. Einfach so. Keine Reaktion. Ich hoffe, dass sich das Problem wie von Wunderhand über Nacht löst. Ansonsten könnte die Kommunikation mit der alten Welt etwas kompliziert werden. Ist aber auch eine Chance: reisen wie damals in den 80er Jahren.

 

Noch geht es gut voran
Noch geht es gut voran
Die Piste! Sieht gut aus
Die Piste! Sieht gut aus
Noch ist er sauber und mit allen Bodenblechen
Noch ist er sauber und mit allen Bodenblechen





Meine "Jurte" im Patagonia Camp unter einem flammenden Himmel


Sonntag, 18. Januar 2015/08:00


Hier im Patagonia Camp ist auch das Internet ziemlich öko, es macht noch immer keinen Sinn, Bilder hochzuladen. Die muss ich nachtragen.

Die recht kleine Anlage besteht aus etwa 16 Jurten, so wie ich es überblicken konnte, direkt oberhalb des Lake del Toro. Kristallklares Gletscherwasser.

Patagonia Camp ist offensichtlich ausgerichtet auf US-amerikanische Gäste. Entsprechend ist auch das Frühstücksbuffet. Aber man wird satt, andere Länder, andere Frühstücksbuffets. Insgesamt ein interessantes Konzept, hier im Nationalpark werden viele touristische Einrichtungen "nachhaltig" betrieben. Bis hin zur Bitte, die hoteleigenen Pflegeprodukte zu verwenden statt der eigenen. Die seien umweltverträglicher. Vorbildlich.

Ich habe mich für 09:00 Uhr für eine "Excursion" eingeschrieben. Ich hoffe, dann die bekannten "Zinnen" komplett zu sehen zu bekommen. Von hier sehe ich nur die Spitzen.

Das iPhone Problem hat sich erledigt, nicht durch wundersame Hand, sondern durch meine. Aber auch wundersam, ich habe alle verfügbaren Knöpfe so lange zusammen gedrückt gehalten, bis auf einmal der Apfel wieder aufgetaucht ist. Geht doch. Andererseits, ich hätte ja noch mein altes Ersatzhandy dabei: SonyEricsson. Telefonieren geht und sogar SMS verschicken. 

Die Tour startete heute pünktlich um 09:00, wie übrigens alles wirklich extrem gut organisiert ist. Zwei Ehepaare sehr gesetzten Alters aus England und Schottland waren noch dabei. Herrlich, dieser englische Humor. Dazu der unaufdringliche Tourguide, der dankenswerterweise nicht der Meinung war, einen Erziehungsauftrag zu haben. Und ein Fahrer, der zwar jedes Schlagloch auf der Piste zu kennen schien, dem einen oder anderem aber einen Besuch abstatten musste. Erstaunlich, was Autos heutzutage aushalten.

Auf dem Programm standen zwei Trekkings. Das erste am Lago Grey, der vom Grey Gletscher gespeist wird, deshalb wohl Lago Grey und weil das Wasser halt grau ist. Man läuft über einen spektakulären Kiesstrand. Aber zum Sonnenbaden ist der Wind zu kalt. Überhaupt zum Wetter: sensationell gut. Sonnenschein, wolkenloser Himmel, wirklich himmelblau. Vor zwei Tagen hat es hier noch aus Kübeln geschüttet. Aber der Wind ist schon kalt. Ich bin extrem gut gegen Kälte ausgerüstet. Aber wind stopper sind nicht so recht dabei.  Der Aussichtspunkt auf den Gletscher war schnell erreicht, eine knappe Stunde Fussweg.

Am Ausgangspunkt unserer Tour unter riesigen Bäumen gab es dann Lunch. Respekt muss ich sagen. Tischdecken, Gläser, Besteck sogar Handwaschdesinfektionscreme. Die am Vorabend individuell bestellten Sandwiches gab es plus Vorspeise, Rotwein, Weißwein, Bier, natürlich Wasser, Brownies und Kaffee. Frisch aufgebrüht. 

Wir waren sehr zurückhaltend beim Wein, aber eineinhalb Gläser wurden dann doch getrunken. Wir haben es beim Aufstieg zum zweiten Aussichtspunkt zu spüren bekommen. Der Mirador Condór ist zwar nur gut 250 Meter höher aber entsprechend steil. Eine gewisse Kurzatmigkeit hat uns schon zu schaffen gemacht. Der Ausblick natürlich wieder sensationell auf den Lago Pehoé und die angeblich erste Hosteria im Park, die Hosteria Pehoé. Und im Hintetgrund die Cerros: Cerro Paine Grande, Punta Bariloche, Cerro Castillo und viele mehr. Vergleich mit unseren Alpen: nicht zu  vergleichen. Sehr eindrucksvoll hier, zerklüftet wie auseinandergesprengt, schroff, dunkel aber nicht flächig so ausladend wie unsere Alpen. Zumindest was ich hier im Sichtfeld habe. Dass Chile und Argentinien mit ihren Gebirgsketten in einer anderen Liga spielen ist schon klar. Und die Vielzahl der teilweise riesigen Seen mit gänzlich unterschiedlichen Wasserfarben ist schon sehr einzigartig.

Der Abstieg durch Felder verkohlter Bäume - Opfer eines riesigen Waldbrandes vor einigen Jahren - war ebenso gespenstisch wie anstrengend, weil wir Gegenwind hatten. Locker ein Siebener, in Böen Achter. Da ist das, was ich aus Ostfriesland kenne, Kindergeburtstag dagegen. Fotografieren unter einer 1000/sek machte gar keinen Sinn. Derart ruckelte der Wind an Körper und Objektiv. Herrlich, wenn er ein paar Grad wärmer wäre.

Auf der Rückfahrt hätte man gerne mal ein kurzes Nickerchen gemacht, aber wie gesagt, der Fahrer wollte dann doch wohl noch ein paar Schlaglöcher kennenlernen. 

Es war ein schöner Tag. Sinnvoll, eine solche Tour zu machen, erspart viel Sucherei in Reiseführern oder sonst wo. 


Ansonsten viele Berge, viele Seen, viel Wald, verbrannt und frisch nachgewachsen, und ein blauer Himmel wie ein Himmel nur blau sein kann.

Montag, 19. Januar 2015

 

Heute mach ich mich allein auf, um den Nationalpark zu erkunden. Ich werde nur einen Teil zu Gesicht bekommen, das ist schon klar, aber es sind so ein paar Stellen, die ich mir ansehen möchte. Von Chris, unserem gestrigen Tourguide habe ich eine übriggebliebene Eintrittskarte für den Nationalpark bekommen. Immerhin US$ 27 gespart. Sehr freundlich von ihm.

Der erste Anlaufpunkt ist die Weber-Brücke, von der man einen tollen Ausblick auf die Torres Cerro Paine Grande und Cerro del Paine haben soll. Stimmt. 






Hosteria Pehoé, das erste Hotel im Nationalpark Torres del Pain

Und das sagenhafte "Explora", das erste Luxushotel im Park


Dienstag, 20. Januar 2015

 

Nach drei Nächten in der Jurte und zwei Tagen im Nationalpark Torres del Paine geht es heute Morgen nach El Calafate in Argentinien. Torres del Paine ist natürlich beeindruckend und nach jeder Biegung der Schotterpiste und hinter jeder Bergkuppe ergießt sich wieder ein atemberaubender Blick auf irgend etwas Prachtvolles: ein Yves Klein blauer See, ein smaragdgrüner Flußlauf, eine dezent  blühende Almwiese (o.k., die Kühe fehlen), ein wie von Künstlerhand silber patinierter Baumstumpfwald, eine nächste Hügel- oder Bergkette, grau, braun, schwarz, violett, rot oder einfach nur steinfarben. Wie beeindruckend es auch ist, das Auge steht ständig unter Stress. Wie entspannend für die Augenmuskulatur ist doch die argentinische Steppe. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg, so etwa 80 km Schotterpiste, und dazwischen liegt die chilenisch-argentinische Grenzstation bei Cerro Castillo.    



Hier an dieser schmucklosen Grenzstation lernt der Mensch wieder, was Demut bedeutet. Die beiden Grenzstationen liegen etwa sechs, sieben Kilometer auseinander. Schotterpiste von der üblen Art. Bei der chilenischen Grenzstation sieht es von einiger Entfernung ganz gut aus, bis ich erkenne, dass die Menschenmassen nicht einfach nur so vor dem Grenzgebäude herumstehen, sondern sich ordentlich, aber in einer sich bis auf den Vorplatz im Kreise drehenden Warteschlange angestellt haben. Samstagmorgens beim Bäcker 8 Leute vor mir, da bin ich geneigt, lieber wieder nach Hause zu fahren und das Wochenende ohne Brötchen bzw. Semmeln zu verbringen, als mich einzureihen, aber hier muss ich wohl durch. Die Sonne scheint, es ist warm, warum nicht mal eine neue Erfahrung machen. Ich stelle mich also in die Reihe junger Backpacker und beginne nach etwa zehn Minuten mich zu wundern, weshalb ich der einzige bin, der kein Gepäck dabei hat. Hier stimmt etwas nicht.  Geb ich jetzt meinen Platz auf – immerhin schon zwei Positionen vorgerückt – und checke mal, was das bedeuten könnte? Ich drängle mich also in den Schalterraum durch und jetzt zahlen sich meine sechs Stunden VHS-Spanischkurs aus: die Schlange trennt sich in „salida“ und „entrada“. Gut, kennt man auch von italienischen Autobahnraststätten. Und da ich „salida“ will, habe ich nur noch etwa zwanzig Menschen vor mir und keine gefühlten achtzig. Dennoch es dauert gut ein halbe Stunde bis ich bei dem Schalter angelangt bin, der „salida“ macht.  Nun muss man dazu wissen, dass ich mit einem Leihauto aus Chile ausreise und mit dem gleichen Leihauto nach Argentinien einreisen möchte. Dazu habe ich etwa zwanzig Seiten Dokumente von der Vermietstation bekommen, die dies alles ermöglichen sollen. Die halte ich auch winkend in der Hand. Also sag ich dem Beamten so etwas wie „ir en coche“, der prüft sehr gewissenhaft meinen Pass, macht eine Kopfbewegung, die ich – wie sich nachher rausstellt -  falsch interpretiere, stempelt meinen Pass und ich schwirr ab. Dreimal tief Luft geholt, war einfacher als ich befürchtet habe. Die etwa sechs Kilometer übelster Schotterpiste sind schnell zurückgelegt und vor der argentinischen Grenzstation ist dann die Warteschlange sagen wir moderat. Zwei Busse und ein halbes Dutzend Einzelfahrer. Wieder zwei Schalter geöffnet aber nix „salida“ und „entrada“. Hier macht jeder Schalter multifunktional. Es geht auch ziemlich flott. Etwa eine dreiviertel Stunde schau und höre ich mir Multikulti an. Viel deutschsprachiges Gewirr um mich herum, hinter mir eine spanisch sprechende schweizer Tourguidin, von der ich erfahre, dass es neuerdings in Tapi Aike eine Tankstelle gibt, was mir etwa hundert Kilometer Umweg erspart. Wirklich nett war, dass sie extra einen Busfahrer fragte, um mir diese Information geben zu können. Nun bin ich an der Reihe, habe ja schon beobachtet, dass die Wartenden und einreisewilligen Autobesitzer die gleichen Papiere in der Hand halten wie ich. Mit nur einem Unterschied: die haben einen Stempel mehr als ich. Also sagt mir mein Einreisebeamter unmissverständlich, und irgendwie ist das sprachlich wohl international, auch wenn ich kein einzelnes Wort verstanden habe, dass ich leider zurück müsse, um mir vom chilenischen Zoll die Ausreise abstempeln zu lassen. Folgende drei Alternativen habe ich blitzschnell im Geiste durchgespielt: hysterisch anfangen zu lachen und mich einfach fallen lassen, ihm eine knallen oder ohne Gruß einfach gehen. Die Lachnummer bringt keinen Stempel, ihm eine knallen höchstwahrscheinlich zwei Monate Bau. Also einfach gehen. Trotzdem hab ich so getan, als würde mir das gar nichts ausmachen. Um eine lange Geschichte kurz zu machen: chilenischer Zoll nochmal eine Stunde, argentinischer Zoll knapp fünf Minuten länger. Und am Ende des Tages muss ich mir sagen: hättest Dir auch denken können, hättest Dir ja auch mal die Dokumente im Detail anschauen können, hättest ja auch mal ganz konkret fragen können. Ja, ich hätte auch die Debitoren an die Kreditoren buchen können. Hab ich aber nicht. Und trotzdem, es ist alles gut, denn ich habe wieder was gelernt. Außerdem hatte ich keinerlei Zeitdruck, ja, gut, vielleicht hätte man die Zeit besser in einem Café, windgeschützt in der Sonne verbringen können. Aber so gab es ein paar nette Plaudereien, ich habe einem rumänischen Pärchen mit meinen Aus- und Einreiseerfahrungen helfen können und habe von einem chilenischen Busfahrer erfahren, dass Chilenen immer noch von den argentinischen Einreisebeamten nach Möglichkeit schikaniert werden.


Zum Ausgleich für diese Widrigkeit gab es dann bis auf die Schotterpassage zwischen Tapi Aike (mit einer witzigen Tankstelle in the middle of nowhere) und El Cerrito eine wunderbar ausgebaute Straße über sanfte Berghügel und durch die weiteste Steppe, die ich jemals gesehen habe, bis nach El Calafate. Das Auge hatte eine Freude!    



In den Ort hineingefahren, erscheint mir El Calafate auf den ersten Blick ein wenig wie einige Badeorte an der Cote d’Azur, wie Palma de Mallorca, nur ohne Ballermann. Im Ort öffnet sich eine vierspurige Prachtstraße, die durch einen breiten Grünstreifen mit üppiger Bepflanzung geteilt wird. Es reiht sich eine Kneipe an die nächste, Café an Pizzarestaurant, Anbieter von Excursionen  an Outdoorshops, Eisdielen an Grillrestaurants, Folkloreläden an Armbändchenverkaufsständen. Ein Casino darf auch nicht fehlen, sogar Western Union ist vertreten. In den Straßen ist ein Auftrieb wie in München in der Kaufinger Straße zum Winterschlussverkauf. Kurz gesagt, ich bin überrascht. Natürlich ist El Calafate das Zentrum im Nationalpark Los Glaciares. Aber mit dieser Wucht an Urbanität habe ich nicht gerechnet. Auf den zweiten Blick nimmt man natürlich das Mallorca-Bild wieder zurück. Es ist erstaunlich ruhig, nur hin und wieder hört man Musik aus einem der Geschäfte, kein Geplärre wie so häufig andernorts. Der Straßenverkehr schleicht gemächlich dahin, kein Mopedgeknatter. Alles relaxed. Alle wollen US-Dollar gegen argentinische Pesos tauschen. Und man ist sehr markenfokussiert. Also zumindest im Hinblick auf Funktionskleidung, in der die überwiegende Mehrzahl der Leute herumläuft. Trekking, Trekking, Trekking ist das Zauberwort! Ein who-is-who der Outdormarken in den Straßen und den Geschäften. Ich bin übrigens der einzige, der hier in einem trapperähnlichen Holzfällerhemd rumläuft. Völlig daneben, nicht nur weil es fast 30 Grad sind noch am späten Nachmittag. Aber kann man denn wissen, dass Patagonien schon lange im zwanzigsten Jahrhundert angekommen ist? Hier ist doch fast das Ende der Welt.

Übrigens zum Wetter: auf der Fahrt zur Mutter aller Gletscher, dem Perito Moreno habe ich einen Tramper mitgenommen, Italiener und Geologe. Der auch wie ich überwiegend Faserpelze statt T-Shirts dabei hat,  aber auch der bestätigt, dass es deutlich zu warm ist. Ungewöhnlich warm in dieser Region. Das hat mich dann doch ein wenig beruhigt im Hinblick auf meine kleidungsmäßige Reiseplanung.





Mittwoch, 21. Januar 2015

 

Die Fahrt zum Gletscher aller Gletscher ist wunderschön, eine perfekte Straße schlängelt sich durch eine Bilderbuchlandschaft. Auch ein Tribut an die Touristenmassen, die sich hier zum gemeinsamen Fotografieren und Posen verabredet haben. Aber, das sei für alle Touristenhiglights, die noch kommen sollen gesagt, es verläuft sich alles auf wundersame Weise. Der Anzahl der Busse nach zu schließen, war ich auf Basar ähnliches Gedränge eingestellt. Dem war nun überhaupt nicht so, teilweise bin ich auf den „Balkonen“,  die auf einer Länge von einigen Kilometern vor dem Gletscher in verschiedenen Ebenen installiert waren, allein gewandelt. Ich hatte nie ein Problem mit der freien Sicht auf Perito Moreno. Mein Hotelier hatte Recht, eine Fahrt mit dem Boot zur Gletscherwand lohnt nicht. Man sieht nichts, da alle im Inneren sitzen und die Scheiben beschlagen. Soweit sein Kommentar. 



Den Gletscher zu beschreiben ist müßig, zumindest ich kann es nicht. Dieses Gesamtkunstwerk verschließt sich sprachlicher Präzision. Entweder es klingt banal oder überromantisch. Selbst Fotos fangen dieses monströse und doch filigrane Gebilde kaum ein. Zumindest meine nicht. Ein Versuch sei aber erlaubt.

Der Höhepunkt ist natürlich immer ein kolossaler „drop“. Also wenn ein Gletscherstück ins Wasser knallt. Selbst kleine Stücke, vielleicht Waschmaschinengröße, machen ein irrsinniges Getöse. Und dann hebt ein „Aahh“ und „Oohh“ an, es gibt sogar Applaus. Ich habe auch ein paar „drops“ erwischt, aber wie es immer so ist: nach einer halben Stunde vergeblichen Wartens an einer zentralen „Drop-Stelle“ bin ich weiter gezogen. Als ich gerade hinter einer blickdichten Baumreihe ohne Blick zum Gletscher gelaufen bin, hab ich es gehört. Der Gletscher muss ein riesiges Stück gekalbt haben. „AAhhs“ und „OOhhs“! O.k. passiert halt. Keine zehn Schritt weiter, wieder diese „AAhhs“ und „Oohhs“. Und ein erdbebenähnliches Gedonner. O.k. passiert halt. Und ein drittes Mal gleiches Erlebnis an anderer Stelle. Wann passiert Entscheidendes? Wenn man gerade das Objektiv wechselt.

Zumindest gesehen habe ich diesen Eisklotz wie er ins Wasser geknallt ist. Und dabei ist mir dann auch gleich bewusst geworden, man will die Dinge doch auch live sehen und erleben und nicht nur durchs Objektiv und auf dem Foto. Dann könnte man sich die Reise sparen und einfach ein paar Fotos runterladen und zuhause auf dem Sofa ansehen. Von daher, lieber Perito, hab ich das nicht als Verarschung empfunden.